Jan Gorr, Trainer und Geschäftsführer des HSC Coburg, analysiert für fraenkischertag.de die Heim-EM in der Kolumne “Gorrs Gedanken”. In Folge 1 thematisiert er die Weltrekord-Kulisse, den Auftaktgegner Schweiz und spricht über die deutschen Stärken und Schwächen.

“Weltrekord-Kulisse, 50.000 Zuschauer in einem Fußballstadion: Das ist ein wahnsinniger Rahmen für ein Eröffnungsspiel einer Handball-Europameisterschaft. Man kann das Ganze ja nicht mit Fußball vergleichen, sondern muss das ins Verhältnis unserer Sportart setzen. Das ist etwas anderes, als die Spieler Woche für Woche erleben. Es ist wichtig für die deutsche Mannschaft, zweimal im Stadion zu trainieren, um sich an diesen besonderen Rahmen zu gewöhnen.

Die große Kunst wird sein, beim Anpfiff die Sachen drumherum auszublenden und sich aufs Wesentliche konzentrieren. Und das Wesentliche am Mittwochabend ist die Schweiz. Ein sehr gefährlicher und unangenehmer Gegner aus meiner Sicht. Die Schweiz hat sich in den vergangenen Jahren  gemausert, auch mit einigen Spielern, die in der Bundesliga aktiv sind. Andy Schmid ist der Dreh- und Angelpunkt, kooperiert sehr gut mit seinen Nebenleuten und den Kreisläufern. Das Sieben-gegen-Sechs haben die Schweizer perfektioniert. Heißt für die deutsche Mannschaft: Nicht die Geduld und Konzentration verlieren.

DHB-Team: Frische Offensive, Schwächen in Defensive

In den beiden Testspielen gegen Portugal hat man den aktuellen Leistungsstand unserer Mannschaft ganz gut gesehen. Im Angriff waren schon viele tolle und überraschende Sachen dabei. Da wird es interessant, wie das unter Wettkampfstress aussieht. Was mir dagegen nicht gefallen hat, war über weite Phasen die Defensivarbeit. Mir hat sowohl die Zweikampfqualität als auch ein Stück weit das Zusammenspiel im Abwehrsystem gefehlt. Ich hoffe, dass man in dem Bereich zulegen kann. Das muss man auf jeden Fall, wenn wir uns mit Weltklasseteams messen möchten.

Die Teamzusammenstellung der deutschen Mannschaft ist äußerst spannend. Es ist sehr viel Talent im Kader vorhanden. Bundestrainer Alfred Gislason war konsequent, hat darauf verzichtet einige gute Spieler im „mittleren“ Handball-Alter zu nominieren und hat stattdessen mit vier U21-Weltmeistern ein klares Zeichen gesetzt.

Erfahrene Korsettstangen fehlen

Was mir fehlt, sind erfahrene Korsettstangen, wie wir sind bei den vergangenen Turnieren hatten. Gerade in der Abwehr fehlen Spieler wie Patrick Wiencek und Hendrik Pekeler, die der Mannschaft einen starken Halt gegeben haben. Mit dem verletzten Patrick Groetzki verliert das Team einen weiteren erfahrenen Spieler, der nicht nur auf dem Feld wichtige Impulse setzt, sondern auch sehr wichtig für das Mannschaftsgefüge ist. Jetzt müssen die verblieben erfahrenen Spieler noch mehr Verantwortung übernehmen.

Auf eher dünnem Eis sind wir auf der Torwartposition unterwegs. Andi Wolf sah gegen Portugal gut aus, die echte Belastungsprobe mit vielen Spielen in wenigen Tagen steht aber erst jetzt bevor. Hinter Andi haben wir mit David Späth einen supertalentierten Keeper, der trotz seiner erst 21 Jahre die Qualität hat, auf dem Niveau mitzuhalten. Er muss auch performen, denn durchspielen kann Andi Wolf sicher nicht.

In puncto Zielsetzung verstehe ich, dass die deutschen Verantwortlichen eher konservativ vorgehen. Es gibt in der aktuellen Konstellation auch keinen Grund, Luftschlösser zu bauen. Ich würde die Zielsetzung  in Segmente unterteilen. Segment Nummer 1 ist, das Auftaktspiel zu gewinnen – koste es, was es wolle. Und dann muss die Mannschaft es schaffen, Begeisterung im Land auszulösen und auf einer möglichen Euphoriewelle zu reiten. Gelingt das, kann die junge Mannschaft Großes leisten. Der Traum ist die Halbfinalteilnahme. Aber die ist – Stand jetzt – noch ein gutes Stück entfernt.”

Den gesamten Bericht findet ihr bei unserem Medienparter dem Coburger Tageblatt.

Bericht vom Coburger Tageblatt

Bild von Svenja Stache