Vadym Brazhnyk hat nach dem russischen Überfall sein Heimatland verlassen und beim Handball-Zweitligisten HSC 2000 Coburg Arbeit als Torwart-Trainer gefunden. Er fühlt sich in der Vestestadt  pudelwohl. Beim Gedanken an Putin fällt ihm nur ein Wort ein.

Dass die Spieler des HSC 2000 Coburg zu ihm aufschauen, liegt nicht allein an seiner stattlichen körperlichen Erscheinung. Denn Vadym Brazhnyk überragt mit seinen glatten zwei Metern Größe den gesamten Spielerkader des Handball-Zweitligisten. Der Schweizer Kreisläufer Viktor Glatthard kommt ihm mit vier Zentimeter weniger am nähsten. Doch sind es vor allem sein guter Charakter, seine sportlichen Erfolge und die Autorität des 47-jährigen Ukrainers, die den Torwarttrainer der Vestestädter zu einem Vorbild machen. Er ist ist jemand, der in sich ruht und lieber analytisch und akribisch arbeitet, als offensiv das Rampenlicht der Arena zu suchen. In jenem stand er oft genug als Spieler, bis hinauf in die Champions League oder als Nationalspieler bei der Welt und Europameisterschaft.

Seine aktive Laufbahn hat er vor vier Jahren beim slowakischen Serienmeister Tatran Presov beendet, mit dem er es in der Saison 2004/2005 bis ins Viertelfinale der Königsklasse geschafft hat. Zu seinem Engagement in Coburg gekommen ist er als Folge des russischen Angriffskrieges gegen sein Heimatland. Seit Anfang Oktober schult und coacht er die Torhüter der 1. Mannschaft der Gelb-Schwarzen, stellt sich jedoch auch in der „Zweiten“ in der Bayernliga wieder selbst zwischen die Pfosten und versucht auch die Schlussmänner im Nachwuchsbereich des Klubs auf dem Coburger Weg mit weiterzuentwickeln.Wenn nun am zweiten Weihnachtsfeiertag um 16 Uhr das Zweitliga-Heimspiel gegen seine Landsleute von HC Motor Zaporizhzhia in der HUK-COBURG arena ansteht, löst das bei Vadym Brazhnyk sowohl Freude als auch Wehmut aus. Denn als im Februar dieses Jahres Russland sein Heimatland überfallen hatte und er im März mit der A-Nationalmannschaft nach Deutschland reisen durfte, fiel die Entscheidung, die Familie mitzunehmen. Von Großwallstadt aus, der Anlaufstation für das ukrainische Team, ging für Vadym Brazhnyk, seine 47-jährige Ehefrau Julia und die 14-jährige Tochter Polina die Reise weiter nach Nürnberg, wo seit 20 Jahren die Schwester des ehemaligen Top-Handballers wohnt. Da stand für die Familie schon fest, dass sie nicht mehr in die Ukraine zurückkehren will. Was wiederum bedeutet, dass sie der älteren Tochter, der 27-jährigen Maria, die mit ihrem Mann und Sohn Lev in der Hauptstadt geblieben ist, vorerst aus 2000 Kilometern Entfernung Trost spenden müssen. Auf die Frage, was ihm beim Namen Wladimir Putin einfällt, antwortet Brazhnyk kurz und prägnant: „Sch…e!“ Dass die Russen aktuell verstärkt die technische Infrastruktur der Ukraine zerbomben, lässt ihn verständnislos zurück. „Ich versuche mit Videoanrufen möglichst täglich Kontakt zu halten mit der Familie meiner Tochter und auch mit Freunden, deren Söhne Handball ohne Licht in der Halle spielen.“ Umso wichtiger findet er es, dass russische Sportler so lange von allen internationalen Wettbewerben ausgeschlossen bleiben sollen, bis ihre Armee die Ukraine wieder verlassen hat. „Sport und Politik wird man nie ganz voneinander trennen können. Die Rolle des Sports an sich ist sehr wichtig, er verbindet und hat eine Vorbildfunktion. Und er bietet eine Plattform, die man nutzen muss.“

Aus diesem Blickwinkel ist sicherlich auch das Zeichen wichtig, das der deutsche Handball gesetzt hat, indem das ukrainische Team HC Motor Zaporizhzhia in dieser Saison als Gast außer Konkurrenz in der 2. Bundesliga mitspielen darf. Dass Vadym Brazhnyk am 26. Dezember zum letzten HSC-Spiel dieses Jahres alte Bekannte aus der Nationalmannschaft, wie Rückraumspieler Ihor Turchenko und Torwart Gennadiy Komok, in seinem neuen sportlichen Wohnzimmer auf der Lauterer Höhe begrüßen kann, freut ihn sehr. Jenes bezogen hat er im Sommer, als er nach einigen Monaten Aufenthalt in Nürnberg mit seiner Familie die Vestestadt ansteuerte. Der Kontakt zum HSC 2000 kam über den ehemaligen Coburger Spieler und seinen Landsmann Konstantin „Kostja“ Zelenov zustande, der Klub half den Brazhnyks bei der Wohnungssuche sowie bei Melde und Behörden-Terminen. Sowohl Alexander Zinßmeister aus der HSC-Geschäftsstelle als auch der tschechische Torwart-Oldie Jan Kulhanek leisteten und leisten nach wie vor wertvolle Dienste als Übersetzer. Wobei solche Hilfe allerdings mittelfristig nicht mehr in der jetzigen Intensität benötigt werden soll. Denn bei Familie Brazhnyk steht das Lernen der deutschen Sprache auf der Prioritätenliste ganz weit oben. Nicht nur Vadym selbst, auch Ehefrau Julia, die früher als Arzthelferin und in einer Bäckerei/Konditorei gearbeitet hat, in Kursen und die Tochter Polina an einer Coburger Realschule pauken fleißig Vokabeln, um in der neuen Heimat schnell und bestmöglich klarzukommen. Denn eines steht für Vadym Brazhnyk fest: „Ich möchte in Deutschland bleiben. Coburg war und ist für mich die erste Adresse. Ich fühle mich seit dem ersten Tag hier wohl und bin rundum glücklich. Die Stadt ist superschön und man hat mich überall herzlich aufgenommen. Ich liebe die bayerische und fränkische Lebensart und würde hier gerne weitermachen.“ Sein Vertrag als Torwarttrainer läuft bis zum Saisonende, einer Verlängerung steht von seiner Seite nichts entgegen.

Hobby-Angler wie Geschäftsführer Gorr

Details dazu könnte er eventuell auch beim Angeln mit seinem Chef klären, schließlich teilt er mit HSC-Geschäftsführer Jan Gorr die Leidenschaft für dieses Hobby. „Wir haben darüber schon gesprochen, aber noch keinen Termin ausgemacht“, dürfen sich die Fische im Bad Staffelsteiner Westsee jedoch vorerst noch ein Weilchen in Sicherheit wiegen. Neben Handball und Angeln bleibe für andere Sachen keine Zeit, erzählt der Hüne, der als Lieblingsgetränk Bier nennt und gerne Classic-Rock hört. Außer vielleicht: Er tauscht manchmal die Handball-Platte mit den Herd-Platten in der heimischen Küche. Am besten bekomme er Steaks hin, seine Leibspeisen sind außerdem Schaschlik und Borschtsch, eine Suppe, die traditionell mit Roter Bete und Weißkohl gekocht wird und deren Zubereitung vor allem in Osteuropa sehr verbreitet ist.

Dass sportlich beim HSC nichts anbrennt, dessen ist er sich sicher. Seinem Klub bescheinigt er eine gute sportliche Perspektive und geht davon aus, dass Coburg am Ende der Saison weiter oben in der Tabelle stehen wird als aktuell – nach starken Leistungsschwankungen und einer Achterbahnfahrt – auf Rang 10. Nicht zuletzt vertraut er da natürlich auch auf seine Schützlinge auf der Torwartposition, die bereits zu den besten ihrer Zunft in der 2. Bundesliga zählen, die aber durchaus von seiner großen Erfahrung noch profitieren können. Das gilt besonders für die beiden jungen Keeper Jan Jochens, der an diesem Dienstag 22. Geburtstag feierte, und Fabian Apfel (23). Neuzugang Kristian van der Merwe (28) arbeitet mit einer Langzeitverletzung nach wie vor an der Reha und der 41-jährige Oldie „Wolle“ Kulhanek nutzt ungebremst seinen eigenen großen Erfahrungsschatz zu Bestwerten in der Liga-Statistik. „Die Zusammenarbeit mit Wolle ist ein Selbstläufer und Fabi und Jan geben im Training immer alles. Es könnte nicht besser sein“, lobt der Torwarttrainer. Ob er selbst sich noch einen Einsatz in der 1. Mannschaft zutrauen würde? „Nein, ich bin alt. Ich bin glücklich, dass ich noch in der der 2. Mannschaft in der Bayernliga spielen kann, da müssen sich die anderen keine Sorgen machen“, lacht Vadym Brazhnyk. Doch auch wenn seine besten Jahre als Handballer mit 47 „Lenzen“ freilich schon etwas zurückliegen, ist er immer noch topfit.Vadym Brazhnyk holte als Profi in der Ukraine, der Slowakei und Rumänien zahlreiche nationale Titel. 2005 stand er mit Tatran Presov im Viertelfinale der Champions League. Er hütete bei insgesamt vier Klubs das Tor: bei Budyvelnik Kiew (Ukraine; 1997 bis 2004 und 2006 bis 2011), Tatran Presov (Slowakei; 2004 bis 2006 und 2016 bis 2018), HC Dinamo Poltava (Ukraine; 2011 bis 2013) und AHC Dunarea Calarasi (Rumänien; 2013 bis 2016).

Trainer bei ukrainischen Nationalteams

Nach dem Ende seiner Spielerkarriere als Handball-Profi arbeitete Brazhnyk in der Ukraine für drei Jahre in einer Akademie für Handball, wo er für die A- und B-Jugend in Browary – er stammt aus jener Stadt mit etwa 100 000 Einwohnern zwölf Kilometer nordöstlich von Kiew – verantwortlich war. Neben der U18-Nationalmannschaft trainierte er als Co- und Torwarttrainer auch die ukrainische Männer-Auswahl. Diese Ämter bekleidet er nach wie vor. Und was wünscht er sich zu Weihnachten? „In der Ukraine feiert man das zumeist anders als in Deutschland und es gibt auch keine Geschenke. Wir werden wohl wieder zu Hause eine Ente braten und diesmal ganz einfach schauen, ob vielleicht der Weihnachtsmann in Deutschland doch etwas vorbeibringt.“ Aber ganz unabhängig von Festlich- oder Seligkeit hofft der Neu-Coburger: „auf ein schnelles Ende des Krieges und weiter als Trainer arbeiten zu können“

Bericht von Michael Döhler (Neue Presse)

Bild von Svenja Stache